Montag, 21. März 2011

Jörg Kachelmann: Blümchen zupfen für ein Null-Ergebnis

Vor 366 Tagen wurde Jörg Kachelmann wegen schwerer Vergewaltigung festgenommen, vor 235 Tagen wurde er nach 132 Tagen aus der Haft entlassen, vor 196 Tagen begann am Mannheimer Landgericht das Verfahren gegen ihn, und gestern hat man nicht nur den Jahrestag seiner Inhaftierung, sondern auch nach mehr als dreissig Prozesstagen jenen des Mannheimer Null-Ergebnisses begangen, gefeiert, zelebriert oder was auch immer ein derart mieses Resultat an ungebührlichem Aktionismus hervorbringen mag.

Mit Inbrunst und Akribie trugen die Mannheimer Daten zusammen, durchforsteten Festplatten, Chips und die Gehirne der Hauptfiguren, liessen Geliebte, Ex-Geliebte, Eventual- und Möchtegerngeliebte auffahren, engagierten hoch kompetente Spezialisten, qualifizierten den einen oder andern vor seinem Auftritt bereits ab, sicherten ihren löchrigen Panzerschrank, und schienen sich an ihren Diskussionen über Sex, Sekrete, Tröpfchen und Flecken, Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten erschöpfend zu ereifern.
 
Und mit jedem längeren Atemzug zupften die Richter, der jesusähnliche Staatsanwalt, Schöffen, Gerichtsschreiber und das Ersatzpersonal je einem Blümchen ein Blütenblättchen raus, um leise seufzend zu raunen: «Er war's.» oder «Er war's nicht.» Wenn später die «kleine Urteilsliste» herumgereicht wurde, zählte jeder die dahinwelkenden Blütenblättchen, und kreuzte darauf sein vorläufiges Ergebnis an.
Blümchen zupfen
Viel später zogen sich der vorsitzende Richter und der Staatsanwalt jeweils dezent zurück, um die letzten Erkenntnisse dieser kleinen Liste durch das Würfelspiel zu festigen. So wurde aus jedem Prozessmorgen bis zu seinem Abend ein neuer Tag, und die Mannheimer zogen unentwegt neuen Abenteuern entgegen, um ihren Erzfeind, den Kachelmann, endlich zur Strecke zu bringen.
 
Nein, Untätigkeit kann man dem Mannheimer Gericht nicht vorwerfen. Man scheute sich selbst nicht vor einer Expedition in die Schweiz, um auch dem letzten Bit des letzten Clusters eines Mobiltelefons gerecht zu werden. – Und dies alles brachten sie fertig in der Hoffnung, dem Jörg Kachelmann anhand einer an der Tat gar nicht Beteiligten wenigstens noch auf den letzten Drücker etwas Grauenhaftes vorwerfen zu können.
 
Nicht einmal die beiden ausdrücklich auf Kachelmann zugeschnittenen Spezialsyndrome erhärteten ich, obwohl man grosse Hoffnung in sie gesetzt hatte, um aus einem unbescholtenen Mann endlich jenen Täter zu herauszubilden, der zu den fantasiereichen Verausgabungen der klagenden Claudia Simone Dinkel aus Schwetzingen so wunderbar gepasst hätte:
 
Das Werwolf-Syndrom, bei dem der Täter ohne Anlass, unverhofft und plötzlich böse geguckt, böse geredet und böse Dinge getan haben sollte, verflüchtigte sich ins Nichts, und mit ihm verflogen auch alle kleineren oder grösseren Persönlichkeitsstörungen, derer sich die Mannheimer so gerne bedient hätten.
 
Grosses Unglück brachte auch die Absenz des Shiva-Syndroms über die standhaften Richter und den halsstarrigen Staatsanwalt: Kachelmann besass einfach die Vielarmigkeit nicht, um sein angebliches Opfer gleichzeitig zu würgen, mit einem Messer zu bedrohen, des mutmasslichen Opfers Schenkel auseinander boxen, ihm ein Tampon aus einem persönlichkeitsrechtlich geschützten Örtchen herausziehen und sich dabei ordentlich abzustützen, um diese ausserordentliche Vergewaltigung zu begehen – und natürlich auch heil zu überstehen, denn er musste danach ja noch nach Kanada verreisen.
 
Dabei hatte das Mannheimer Gericht alles so fabelhaft arrangiert: Die Öffentlichkeit wurde grossenteils ausgesperrt, damit wenigstens diese Kontrolle wegfiel und sich die Boulevardmedien noch ungehemmter über den Angeklagten hermachen und sich schier schrankenlos an dessen angeblichem Lotterleben ereifern, ergeifern und bereichern konnten.
 
Der gerechten Sache dienend, sorgte das Gericht stets für ganz winzige Lecks in seinen Sicherheitsvorrichtungen, damit ganz winzige Akten über die Gerichtsverhandlungen verschwinden durften, um später als «Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen» in den Medien zu erscheinen und der breiten Öffentlichkeit jenes Prickeln zu bereiten, das ihr während der Verhandlungen verwehrt geblieben war.
 
Trotz alledem hatte es der vielbeschäftigte Richter Seidling sehr schwer, als man ihm Befangenheit vorwarf und er über die Familie des angeblichen Opfers sagen musste: «Ich kenne die Familie nicht. Es gibt keine Nähe zwischen uns.», obwohl er im selben Ort wie die Dinkels wohnt. Ob er gemeint war, als die Claudia Dinkel mit dem Buch-vor-dem-Kopf namens «Der Soziopath von nebenan» vor dem Gerichtsgebäude ihre Show abzog? Wir wissen es nicht.
 
Wir wissen überhaupt nicht viel, jedenfalls nichts, was das Kerngeschehen der angeblichen Tat betrifft, so es denn überhaupt je eine solche gegeben hat. Aber vielleicht ist der Kern der Geschichte ja der, dass, weil es nie eine Tat gab, das Mannheimer Null-Ergebnis nach 196 Tagen eine der zwingenden logischen Folgen dieses monströsen und menschenverachtenden Leerlaufs ist.
 
196 Tage arbeiten und nichts zustande bringen bedeutete für ein Gericht schon einen Riesenfrust. Aus diesem Grund und um die Show weiterlaufen zulassen, hat man sich wohl auf die willfährigen Gespielinnen konzentriert. Das ist wahrer Mannheimer Fleiss, und mit etwas Porno machen solche Arbeitspensen einfach noch viel mehr Spass. Doch nicht immer hat der Volksmund recht, wenn er sagt: «Wer sucht, der findet.»
 
Und bloss keine Bedenken! Ich werde trotz des enormen hoch richterlichen Blümchen-Verschleisses an der Bismarckstrasse keinen Blumenladen eröffnen.
 

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