Freitag, 19. Februar 2010

Ricardo Lumengo: So geht das nicht

Die Medien melden, der heutige Nationalrat Ricardo Lumengo (SP) hätte mehrere Wahlzettel ausgefüllt, die durch Dritte für Grossrats- und Nationalratswahlen als ihre eigenen abgeben wurden.
Das Resultat: Vertrauensbruch.

Als im Herbst/ Winter 2007 die Domain lumengo.ch von einem Domaininhaber bis zum Browser-Absturz verunstaltet wurde mit dem Ziel, den Namen Lumengo offensichtlich zu verunmöglichen, hatte ich mich für Ricardo Lumengo eingesetzt. Denn eins schien mir klar: Hier ging es um Rassismus und nicht um politische Kompetenz.
Der nun veröffentlichte mehr als large Umgang mit Wahlzetteln zeigt hingegen, dass es um das politische Bewusstsein Herrn Lumengos nicht zum besten bestellt ist und dieser Nationalrat keine Politiker-Persönlichkeit ist, auf die sich der Bürger verlassen kann.
 
Darüber bin ich enttäuscht, und davon bin ich angewidert.

Handwerkliche Hilfe oder Stimmenfang?

Herr Lumengo argumentiert mit der Überforderung analphabetischer Wähler, die jedoch die jeweilige Stimmkarte selber unterschrieben hätten.
 
Dem darf hier bereits grob widersprochen werden: Wer seinen Namen schreiben kann, ist nicht generell Analphabet. Selbst wenn er nicht über das ganze Zeicheninventar verfügt, wäre er in der Lage, innerhalb nützlicher Frist eine Graphemkette (Name und Vorname) zu erlernen, wenn er diese im einen oder anderen Fall auch bloss nachzeichnete.
 
Weit wichtigere Fragen bezüglich dieser «bloss handwerklichen Hilfe» für Analphabeten sind hingegen:
  • Wie konnten sich diese Analphabeten überhaupt über die zu wählenden Politiker und deren Parteien vorher ausreichend informieren?
  • Was geschah an Information und Manipulation während dieser kürzeren oder längeren «Hilfe zum Ausfüllen der Wahlzettel»?
  • Wieweit griff Herr Lumengo bewusst oder unbewusst bei unentschlossenen, unter- oder desinformierten Wählern ein?
Wir wissen es nicht, wir waren nicht dabei, wir sind nun auf das Vertrauen in Herrn Lumengo angewiesen, er hätte in hoher politischer Verantwortung in jedem Fall korrekt – das bedeutete auch gegen sich – diese Wahlzettel im Sinn der jeweiligen Wähler ausgefüllt.
Und genau dieses Vertrauen ist weg – zumindest meins.
 
Als Ricardo Lumengo 1982 als politisch Verfolgter in die Schweiz kam, studierte er Jura. Vom schliesslichen Juristen und Politiker darf verlangt werden, er habe sich mit den Rechten und Gepflogenheiten der Schweiz so weit auseinandergesetzt, dass ihm solche «Fehler» nicht passierten.
 
Sie sind hingegen passiert und dies über Jahre hinweg.

Analphabeten in Diktaturen

Obwohl Information und damit Wissen zu wichtigen Überlebensinstrumenten gehören, sind besonders Diktaturen Analphabeten nicht abgeneigt. Während Wahlphasen senden «führende Politiker» scharenweise ihre Wahlhelfer aus, die der unter- und teilweise vollkommen desinformierten Bevölkerung der meist ärmsten Schicht ihre Wahlzettel ausfüllen «helfen».
Wie im Zuge solcher «Hilfe» informiert und für wen schliesslich abgestimmt wird, kann sich jeder nun wirklich selber denken.

In der Grauzone

Ricardo Lumengo hat sich mit seiner Wahlhilfe in eine Grauzone manipuliert. Es sei ihm unbestritten, die Situation überforderter Wähler erkannt zu haben. Hingegen hätte es den klaren Weg für ihn gegeben, unabhängige Wahlhelfer einzusetzen.
 
So wäre die Funktionsüberschneidung «Jurymitglied und Wahlkandidat zugleich» erst gar nicht entstanden. Der Nationalrat steht nun da mit einer Übertretung, wird durch parlamentarische Immunität hingegen noch geschützt für allfällige Übertretungen während seines Nationalratsmandats.
 
SF  TAGESSCHAU vom 19.02.2010 meldet dazu:

«Hingegen schützt die parlamentarische Immunität Lumengo nicht unbedingt vor Strafe. Über die Aufhebung der Immunität entscheiden die Eidgenössischen Räte – wenn das Gericht überhaupt ein entsprechendes Gesuch einreicht.
 
Falls Lumengo ausschliesslich Vergehen vorgeworfen werden, die vor der Wahl in den Nationalrat verübt wurden, muss das Gericht kein Gesuch stellen. Denn in diesem Fall bietet das Nationalratsmandat keinen Schutz.»

Der grosse Knick

Was am 21. Oktober 2007 für Ricardo Lumengo mit grosser Hoffnung begann, ist geknickt und könnte nun grausam enden. Zu erwarten ist ein mühsames Medien-Hickhack pro und contra Lumengo, bespickt mit Ehrverletzungen und mehr oder weniger verstecktem Rassismus.
 
Trotz meiner Enttäuschung wünsche ich Ricardo Lumengo alles Gute und viel Glück. Glück, das er wird gebrauchen können.
 

Info: Stimmenfang – Wahlfälschung

In der Schweiz unterscheidet man zwischen Stimmenfang und Wahlfälschung:
 
StimmenfangArt. 282bis 1
Wer Wahl- oder Stimmzettel planmässig einsammelt, ausfüllt oder ändert oder wer derartige Wahl- oder Stimmzettel verteilt, wird mit Busse bestraft.
 
WahlfälschungArt. 282
1.  Wer ein Stimmregister fälscht, verfälscht, beseitigt oder vernichtet,
 
wer unbefugt an einer Wahl oder Abstimmung oder an einem Referendums- oder Initiativbegehren teilnimmt,
 
wer das Ergebnis einer Wahl, einer Abstimmung oder einer Unterschriftensammlung zur Ausübung des Referendums oder der Initiative fälscht, insbesondere durch Hinzufügen, Ändern, Weglassen oder Streichen von Stimmzetteln oder Unterschriften, durch unrichtiges Auszählen oder unwahre Beurkundung des Ergebnisses,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
 
2. Handelt der Täter in amtlicher Eigenschaft, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen. Mit der Freiheitsstrafe kann eine Geldstrafe verbunden werden.1


 

Weitere Links zum Thema

5 Kommentare:

Benno hat gesagt…

Kostete Lumengos Wahlmanipulation den SD-Sitz?
Rechtliche Schritte gegen die Wahlbehörde nicht ausgeschlossen!

Als Direktbetroffene fordern die Schweizer Demokraten (SD) die lückenlose Aufklärung der Wahlmanipulationen von SP-Nationalrat Ricardo Lumengo anlässlich der Nationalratswahlen vom 21. Oktober 2007. Damals wanderte das letzte Restmandat von den SD zur SP. Den Schweizer Demokraten fehlten lediglich wenige Listen zur Verteidigung ihres Mandates. Bereits am Wahlabend gab es anlässlich der Auszählung Ungereimtheiten. So wies das amtlichem Formular * der Staatskanzlei vom 21.10.2007 um 22.53 Uhr SD-Nationalrat Bernhard Hess noch als gewählt aus. Erst nach einer Beschwerde der SP wurde dieses Resultat weit nach Mitternacht zugunsten der SP und zum Nachteil der SD abgeändert.

Die SD fordern die Behördern auf, restlos abzuklären, ob das systematische Einsammeln und Abändern der Wahllisten durch Ricardo Lumengo den Sitzgewinn zugunsten der SP und zulasten der SD bewirkten konnte. Insbesondere ist zu klären, ob auch in weiteren Gemeinden ausserhalb der Stadt Biel auffällig viele Wahllisten mit dem Namen von Riccardo Lumengo aufgetaucht sind, welche zudem von gleicher Hand geändert wurden. Die SD vermuten, dass das Vergehen Lumengos sich nicht nur auf die Stadt Biel beschränkt hat.

Aber auch die kantonalen Behörden müssen sich von den SD unangenehme Fragen gefallen lassen: Obwohl die Manipulation Lumengos in der Stadt Biel offensichtlich schon am Wahlabend bemerkt wurde, verpassten die kantonalen Wahlbehörden eine rasche Veröffentlichung des Vergehens und verunmöglichten den Schweizer Demokraten, in dieser Angelegenheit mittels einer Wahlbeschwerde aktiv zu werden. War dies Absicht? Jedenfalls prüfen die SD auch rechtliche Schritte gegen die kantonale Wahlbehörde.

Unterstützung erhalten die SD von SVP-Grossrat Thomas Fuchs, der im Kantonsparlament ebenfalls für eine lückenlose Aufklärung der Wahlfälschung des SP-Nationalrats vorstellig werden wird und zudem Massnahmen gegen künftige Wahlmanipulationen fordert.


* Das Formular kann auf dem SD-Sekretariat angefordert werden, Tel. 031/974 20 10

Titus hat gesagt…

Vorab: Wir sind zwar immer wieder Stolz auf unseren Rechtsstaat, lassen uns aber insbesondere von den Medien schon lange dazu verführen, Angeschuldigte gleich zu verurteilen.

Vier Punkte zu diesem Thema:

1) Das fragliche Abstimmungsmaterial, welches ich seinerzeit erhielt, war satte zwei Zentimer dick. Ich könnte unzählige Personen aufzählen, welche nie weder abstimmen noch wählen gehen und welche mit diesen 2 Zentimetern schlicht überfordert wären.

Ich kann daher durchaus nachvollziehen, dass er, der einen anderen, eher sozial benachteiligten Kontaktkreis erschliesst und ihn wählen wollte, diesem Kreis erklärt hatte, was sie zu tun hätten, wenn sie ihn wählen wollen.

Anderen zu helfen ist glücklicherweise noch keine Straftat. Solange er nicht selber Hand angelegt hatte und solange er die Wählenden auch nicht gedrängt oder gar genötigt hatte, sehe ich dahinter absolut kein Problem. Ansonsten müsste man genauso den Zuruf «Steck' dann am Sonntag die Liste 5 in den Umschlag» seitens eines Kandidaten als Wahlfälschung betrachten.

2) In einem TV-Beitrag (ich weiss nicht mehr genau, worum es ging, spielt hier auch keine Rolle) wurde die typische Umfrage vom «Mann von der Strasse» gemacht. Als dabei jedoch eine ältere Frau (umgangssprachlich ein Grossi) befragt wurde, wofür sie stimmen würde, gab sie als Antwort, dass das jeweils ihr Mann entscheiden würde.

Das mag nur eine Einzelstimme gewesen sein. Trotzdem bin ich überzeugt, dass es heute viele ältere Personen in der Schweiz gibt (und vor allem die gehen heute stimmen), bei denen jeweils der Mann seiner Frau sagt, was sie zu tun habe. Darüber spricht aber niemand, obschon das so auch nicht in Ordnung ist.

3) Warum jetzt? Warum beginnt jetzt eine Hetzjagd gegen Lumengo? Warum nicht schon vor früher?

Wird hier bereits ein schmutziger Wahlkampf für die Nationalratswahlen im kommenden Jahr betrieben? Oder hat es damit etwas zu tun, dass in drei Wochen im Kanton Bern Grossrats- und Regierungsratswahlen stattfinden?

4) Wer steckt dahinter? Wenn ich Bennos Kommentar lese, scheinen die SD noch eine Rechnung offen zu haben. Ist das Ganze etwa vom politischen Gegner wohl konzertiert?

Wie auch immer: Warten wir die Ergebnisse der Untersuchung ab und urteilen wir doch erst dann.

Titus hat gesagt…

Noch was zu Bennos Kommentar:

«Lumengos Vorsprung auf den nächstplatzierten in den Nationalratswahlen betrug 11´000 Stimmen, bei den Grossratswahlen 2007 satte 6500 Stimmen.»

Quelle: http://www.blick.ch/news/schweiz/politik/er-haette-es-eigentlich-wissen-muessen-140855

Selbst ohne die fraglichen 44 Zettel hätte es gereicht.

web.quantensprung hat gesagt…

@Benno
Danke für die Info. Ich hatte das damals nicht so genau wahrgenommen!

Ich kann selbstverständlich die Frage, ob das Vorgehen Ricardo Lumengos den SD einen Sitz kostete, nicht anders beantworten, als dies die Medien bereits tun:

Sowohl in den Grossrats- als auch den Nationalratswahlen lag er mehrere tausend Stimmen vor seinem nächsten Gegner.

Auch bin ich nicht geneigt, weitere Vermutungen zu unterstützen, als jene Fragen, die ich im Beitrag oben anbrachte.
Den Fall zu beurteilen, liegt nun in den Händen der Justiz.

@Titus
zu 2) – Das Grosi von der Strasse
Es trifft zu, dass innerhalb der Familie / einer Ehe eine Art «Gleichschaltung» entstehen kann, aus welchen Gründen auch immer. Das muss nicht nur unter älteren Wählern so sein. Eine meiner früheren Nachbarinnen sagte mir ganz offen, sie kümmere sich nicht so um das «Zeug», ihr Mann erledige das, abstimmen gingen sie hingegen immer beide.

Bezüglich älterer Leute sehe ein fast grösseres Problem, wenn sie in Altersheimen leben, geistig fit sind, aber wegen eines Gebrechens nicht in der Lage sind, Stimmzettel auszufüllen.

Sorry meine flaue diesbezügliche Antwort: Ich denke, das ist geregelt …

Hey @Titus, als qualifizierter Rechercheur könntest Du in Deinem Blog das Thema behandeln und von allen Seiten her beleuchten …

zu 3) – Schmutziger Wahlkampf
Ich denke schon, dass dies zu den «Vorboten» des Wahlkampfs gehört – zu welchem auch immer. Die Rechte, insbesondere die SVP, möchte sicherlich die Mitgliederzahl, welche sie vor allem in der Westschweiz verlor, zurückgewinnen. Mit Leuten, die sich angreifbar gemacht haben, kann sie unter Umständen leichtes Spiel haben.

Deshalb bin ich über Herrn Lumengo auch masslos enttäuscht:

Es ist nicht das erste Mal, er das Strafrecht tangiert, und ich kann definitiv nicht verstehen, wieso ein fähiger Politiker derart entgleisen kann. Als er gewählt wurde, war das für mich wie ein Sonnenstrahl: Die Schweizer hatten begriffen.

Und dann begann dieser Ricardo Lumengo an seiner Karriere zu sägen, was das Zeug hält. Irgendwann wird das ewige Spiel von «Fehler begehen und Fehler eingestehen» ihn nicht mehr retten können.

Was will er dann tun?
Wer wird ihn schliesslich noch als Juristen akzeptieren, sollte seine Politikerlaufbahn abrupt beendet sein?

Titus hat gesagt…

Ich bin mir tatsächlich am überlegen, ob ich das Thema Stimmenfang ganz allgemein aufnehmen soll. Mal schauen...

Zu Ricardo Lumengo: Der Mann polarisiert eben schon alleine durch seine andere Hautfarbe, die er sich nicht ausgesucht hatte.

Mit dem «Strafrecht tangiert» meinst Du vermutlich die Fahrerflucht, oder?

Nun, dazu zwei Artikel:
http://www.bielertagblatt.ch/News/Region/86078

http://www.bielertagblatt.ch/News/Region/86163/

Da er knapp zwei Jahre später in Langenthal mit einer Banane beworfen wurde, nehme ich ihm das mit dem sich-bedroht-gefühlt-haben ab. Nachzulesen unter:
http://www.bielertagblatt.ch/News/Region/110120/

Ich habe den leisen Verdacht, dass wir nicht den blassesten Schimmer über die Art und Anzahl an Bedrohungen haben, die ihm widerfahren...

Das dürfte auch wichtig sein:
«Im Laufe der Untersuchung wurde indes klar, dass einige WählerInnen – statt einen neuen Stimmzettel mit eigener Handschrift auszufüllen und einzulegen – den von mir ausgefüllten Zettel abgaben.»

Nachzulesen unter: http://www.ricardolumengo.ch/28201.html