Sonntag, 16. Mai 2010

Dieter Riechmann: Zum Leben verurteilt

Er ist kein «unbeschriebenes Blatt», kommt wenig sympathisch rüber, seine Biografie ist düster, und als jüngst sein Todesurteil in lebenslange Haft umgewandelt wurde, mochte weder im Qualitätsjournalismus noch in den Blogs grosse Freude aufkommen. So setze ich ein Zeichen als Willkommensgruss im Leben für einen Unbekannten, der 22 Jahre in der Todeszelle ausharrte.


 
Der Hamburger Dieter Riechmann und seine Freundin Kerstin Kischnick verfuhren sich am 25.10.1987 in Miami Florida, landeten in einer dunklen Strasse und fragten nach dem Weg. Als sich ein Schwarzer zum geöffneten Wagenfenster beugte, fiel ein Schuss, der Kerstin tödlich verletzte. Dieter raste panisch davon, traf auf eine Polizeistreife und bat diese um Hilfe.
 
Die Justiz kam nach den folgenden Untersuchungen zum Schluss, Dieter Riechmann hätte Kerstin besonders heimtückisch (als Begünstigter an Kirstins Lebensversicherungen) ermordet und verhängte am 12.08.1988 das Todesurteil über ihn.
 
Riechmanns Anwältin Terri Backhus, vehemente Gegnerin der Todesstrafe, entdeckte während weiteren Untersuchungen eine Menge Manipulationen, entlarvte Lügen und stellte schlicht verheerend dilettantische Ermittlungen im Fall Riechmann fest.
 
Ebenso beschäftigte sich der Fernsehjournalist Peter F. Müller jahrelang mit dem Fall und drehte mit einem Budget von NDR und Arte unter anderen die Filme: «Häftling 113993 - Ein Deutscher in der Todeszelle» und «Todesstrafe für eine Lüge».
Mit seiner Arbeit hat Peter F. Müller zumindest indirekt geholfen, Riechmann vor der Exekution zu retten.
 

 

Zum Leben verurteilt

Der erste und wichtigste Schritt ist getan: Das Leben hat ihn wieder. Doch in der Datenbank hat sich die Tabelle «Riechmann» kaum wesentlich verändert:
«DEATH SENTENCE» (Formel für Todesstrafe) wurde «SENTENCED TO LIFE» (Formel für Lebensstrafe) gewandelt. Der Häftling Nummer 113993 soll hingegen gesagt haben: «Ich gehe hier als freier Mann raus – oder ich sterbe hier.»
 
Sollte Dieter Riechmanns Unschuld bewiesen werden können, wird er in der Tat als freier Mann rauskommen, und ich wünsche ihm, das würde bald geschehen.
 

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5 Kommentare:

Joachim Kübler hat gesagt…

Nun,

angesichts der Umstände des Falles ist eine lebenslange Haftstrafe auch nur ein weiteres Übel.

Es gibt aber genug weitere Fälle - wie z.B. der von Troy Davis - die belegen dass das System der Todesstrafe weder "reformierbar" noch in irgendeiner Art und Weise gerecht ist.

Bedauerlicherweise wird man hier in Deutschland meist nur dann auf die Todesstrafe in den USA aufmerksam wenn es eben um einen Deutschen geht oder der Fall auf eine andere Art und Weise "spektakulär" ist...

Joachim

web.quantensprung hat gesagt…

Danke @Joachim
Ich habe Dein Blog gleich eingebaut.

Wahrscheinlich ist es so, dass die geografische und soziale Entfernung der Europäer zu den Häftlingen der US-Todeszellen kein grosses Engagement gegen die Todesstrafe ermöglicht. Ich begann mich ab 2001 eingehender mit dem Thema zu beschäftigen, als ich den Fall Debbie Milke kennenlernte, ging später hingegen aus dem absoluten Ohnmachtsgefühl auf Distanz.

Die Todesstrafe ist niemals reformierbar. Sie gehört geächtet und ausgerottet – und zwar von jenen, die sie befürworten vollstrecken!

Anonym hat gesagt…

Wo bleibt da Frau Merkel, die Herrn Obama auf den Fall aufmerksam macht? Aus den Augen aus dem Sinn. Das ist ein Skandal!

Joachim Kübler hat gesagt…

Hallo quantensprung,

ich kann dieses Gefühl der Ohnmacht gut nachvollziehen, denn ich empfinde oftmals das Gleiche.

Ich bin auch skeptisch was die Abschaffung der Todesstrafe in den USA (von "weltweit" ganz zu schweigen) angeht. In den USA ist die Befürwortung der Todesstrafe hoch, und ohne einen grundlegenden Wandel in der Auffassung was der Mensch eigentlich ist wird es nie zur Abschaffung kommen. Aber das ist ein weites Feld...

Joachim

web.quantensprung hat gesagt…

@balrog
Als Merkel letzten April in Kalifornien war, sonnte sie sich in Hollywood, obwohl sich die geladenen Stars nicht so einfach hatten kaufen lassen … Dass sie einen Monat später in NRW auf die Nase fiel, mag ihre Motivation, sich für Menschen in Todeszellen statt für Geld einzusetzen, auch nicht gefördert haben.

@Joachim
Selbst jener Teil meiner Familie, der in New Jersey und Florida wohnt, steht für diesen staatlich legitimierten Mord ein - die Argumente sind Dir sicherlich bekannt.

Arnold Schwarzenegger hätte es in der Hand gehabt, als Promi dagegen einzustehen. Er folgte hingegen dem Mainstream, der Bush-Regierung und dem «Volkswillen» Kaliforniens. So bleibt auch Arnie bloss ein virtueller Held und Kämpfer.

Denke ich an die dramatische Nacht, in der Karla Faye Tucker exekutiert wurde und an den damaligen Gouverneur George W. Bush, der sein Ablehnen eines Aufschubs damit begründete: «Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Urteil über Herz und Seele eines Menschen in der Todeszelle am besten einer höheren Autorität zu überlassen ist …», frage auch ich mich, wie Menschen beschaffen sind.

Insbesondere deshalb, weil man Karla erst töten musste, um sie der höheren Autorität zu überlassen.