Sonntag, 26. September 2010

Jörg Kachelmann: Eine Geschichte der Flecken

Seit Wochen beehren uns die Medien mit den neusten Erkenntnissen im Fall Jörg Kachelmann. Selbst wenn es nichts zu berichten gibt, wird berichtet. Früher waren es Flecken auf der Bettwäsche, heute sind die blauen im Menschenfleisch dran, ungeachtet dessen, dass die ganze Geschichte nach wie vor ein einziger weisser Fleck ist.

Dazu beklagt sich die umtriebige Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, ihres Zeichens nun neben vielem anderen auch Bild-Reporterin, über zu wenig Objektivität und meint im Focus vom 26.09.2010 Schwarzer vermisst objektive Reporter tatsächlich:

«Ich bin in der Berichterstattung eine der wenigen Objektiven. […]
Ich kann nur hoffen, dass das Gericht die Wahrheit herausfindet»

Aha!  Wie genau ihre Art von Objektivität aussieht, hat Schwarzer dargelegt im Corriere della Sera vom 13.09.2010 unter dem Titel «Die Feministin und der Vergewaltigungs-Prozess 'Die linke Presse ist gegen Frauen'»

Frau Schwarzer sagt, dass sich in Deutschland nur eine vergewaltigte Frau von zwölf an die Behörden wendet. Und nur in einem von sieben Fällen endet der Prozess mit einer Verurteilung.
 
«Kurz gesagt, nur einer von hundert Vergewaltigern wird für schuldig befunden. Dies bedeutet, dass in Deutschland Vergewaltigung bloss als ein Quasi-Verbrechen geahndet wird.
Wenn der Prozess nicht mit einer klaren Unschuld Kachelmanns endete, sondern nur mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen, wäre das ein schwerer Schlag im Kampf gegen die sexuelle Gewalt.
Die Opfer fielen von neuem ins Schweigen zurück.»

Wenn das also Objektivität sein soll:
Dem Gericht gleich noch das Urteil vorschreiben, um eigenes Wunschdenken zu realisieren, dann laust mich doch der Affe, und ich ärgere mich grün und blau – was immerhin zu den blauen Flecken überleitete, müsste vorher nicht noch das Folgende gesagt werden:
 

Brückenberichte gegen den Leser-Verlust

Besonders schlimm muss es für die Berichterstatter sein, wenn ein Verfahren derart in die Länge gezogen wird, so dass Brückenberichte zur Wochenend-Unterhaltung unabdingbar sind, schon damit die böse Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, und den Blättern nicht etwa die Leserschaft davonläuft, um sich etwas Klügerem zuzuwenden.
Ohne direkt die Bild schädigen zu wollen: Ich wende mich in solch traurigen Fällen jeweils der ZEIT zu, um mich mit dem ehrenwerten Hangman zu beschäftigen.
(An der Umbenennung in Blümchenspiel bin ich unschuldig !)

Brücke vor einer Woche: «Die 7 Geliebten»

Die Bild vom 19.09.2010 «Ich freue mich über jeden Tag, den er weiter sitzt»

«Nach BILD-am-SONNTAG-Recherchen sind die Geliebten von Jörg Kachelmann untereinander bekannt. So nahmen mindestens fünf der Ex-Freundinnen nach der Verhaftung des Moderators Kontakt zueinander auf.
 
Bis heute kommunizieren einige per Internet-Chat, E-Mail und Telefon miteinander, tauschen sich über ihre Zeit mit Kachelmann aus und machen auch deutlich, welches Urteil sie sich für den 52-Jährigen wünschen.
 
Eine der Frauen stellte BILD am SONNTAG nun Auszüge aus den Google-Chat-Protokollen zur Verfügung, in denen die Betrogenen ihre Wut dokumentieren: „Ich freue mich jeden Tag, wenn er weiter sitzt“, schreibt zum Beispiel eine am 14. April.»

Die Brüder Grimm sahen das etwas anders und schrieben über ein ähnliches Vorgehen bereits im Jahr 1857 das Märchen «Die Gänsemagd».
Was den einen das Ofenrohr, ist den andern das Internet, der Effekt ist der gleiche: Man kann etwas, über das man eigentlich die Fresse halten sollte, endlich an den Mann, die Frau oder die ganze Welt bringen.

Brücke dieses Wochenendes: «Die blauen Flecke»

Da ich zurzeit keine blauen Flecke trage, holte ich rasch einen vom Himmel herunter. So eine Aktion kann ich jedem raten. Sie bedeutet zudem ein weit gesünderes und friedvolleres Vorgehen, als das, was gleich folgt.
Ein blauer Fleck oder: Hol Dir ein Stück vom Himmel
Die Bild vom 26.09.2010:
«Kachelmanns Ex fotografierte seit Jahren ihre blauen Flecke»

«Die digitalen Fotos zeigen Sabine W.s linken Oberschenkel. Auf der Innenseite befindet sich ein etwa 10 mal 10 Zentimeter großes Hämatom. Das Aufnahmedatum: 23. Februar 2009, 9 Uhr 41 morgens. Das zweite Foto wurde 33 Minuten später aufgenommen. Der blaue Fleck hat sich verändert, ist größer geworden.
[…]
Als die Beamten wissen wollten, warum sie die Bilder gemacht habe, habe Sabine W. erklärt, dass sie schon als Kind von den Selbstheilungskräften des Körpers fasziniert gewesen sei. Wenn sie heute einen blauen Fleck habe, würde sie ihn schon mal fotografieren.»

Eine hanebüchene Aktion !

Es war ein Montag zur Arbeitszeit!
Da platzierte sich offenbar eine bald vierzig jährige Frau irgendwo und irgendwie, schlug sich auf den Schenkel, bis er blau wurde, und fotografierte das entstehende Hämatom aus Interesse an der Selbstheilung?
Und ein Jahr später will dieselbe Dame sich mit offenbar anders geformten Hämatomen als Opfer einer Vergewaltigung sehen.
Nun, alles ist möglich, es können sich beide Aktionen ereignet haben.
 
Der Text in der Bild beschreibt nicht die Selbstheilung, sondern das Entstehen eines Hämatoms!
 
Bei allem Verständnis für ein tatsächliches Opfer:
Wer sich mit derartigen Experimenten an einschlägiger Stelle in Vergewaltigung übt, hat seine Glaubwürdigkeit mehr als aufs Spiel gesetzt.
 
Dazu kommt:
Wenn jemand sich Verletzungen zufügt, um die Selbstheilung gezielt im Selbststudium zu beobachten, müssten sich auf dem Rechner ganze Reihen von Bildern mit den verschiedensten Verletzungen in den verschiedensten Heilungsstadien befinden.
Dem scheint – zumindest bis heute – nicht so zu sein.

Wenn man das Glück besitzt, nicht wissen zu müssen, wie eine Vergewaltigung geht, sollte man keinesfalls eine erfinden – insbesondere nicht, um damit einen Dritten zu belasten.


 

2 Kommentare:

nömix hat gesagt…

»Wenn der Prozess nicht mit einer klaren Unschuld Kachelmanns endete, sondern nur mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen, wäre das ein schwerer Schlag im Kampf gegen die sexuelle Gewalt.«

Wenn Frau Schwarzer das tatsächlich so gesagt hat, wäre das ein schwerer Schlag gegen die Unschuldsvermutung (»im Zweifel für den Beschuldigten«) in der abendländischen Rechtsauffassung. Mit einem Eintreten gegen einen Freispruch aus Mangel an Beweisen exponiert sie sich de facto außerhalb des geltenden Rechtsverständnisses. Und das wäre tatsächlich skandalös – in schönster BILD-Manier.

web.quantensprung hat gesagt…

Das von Dir angeführte Zitat steht nicht in der BILD, sondern im Corriere della Sera und lautet im Original:

«Se il processo non dovesse finire con una chiara innocenza di Kachelmann ma solo con un' assoluzione per mancanza di prove, questo sarebbe un grave colpo nella lotta contro la violenza sessuale

Ich hoffe doch sehr, das einigermassen ordentlich übersetzt zu haben.

Das Schlimme an der Sache ist, dass Schwarzer der Sache Vergewaltigungsopfer mit solchen Erwartungshaltungen fundamental schadet, und offenbar so weit ist, dass sie das vor lauter Geltungsstreben gar nicht mehr bemerkt.