Mittwoch, 6. Oktober 2010

Die Schweiz - ein Volk der grossen Schweiger ?

Betrachtet man – zugegeben etwas aus dem Zusammenhang des gesamten Ereignishorizonts gerissen – einige Begebenheiten der letzten Wochen, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass als letzte Reaktion auf ein «Riesenhallo» zurzeit bei etlichen Schweizern vor allem geschwiegen wird.

Als am 08. September 2010 der Bieler Rentner Peter Hans Kneubühl von der Polizei aus seinem Haus geholt werden sollte und er dabei einem Polizisten ins Gesicht schoss, begann eine unvergleichliche Jagd von Polizeitruppen verschiedener Kantone auf einen angeblichen Staatsfeind und hochgradig gefährlichen Amokläufer.
 
Man versetzte die Schweiz in den Zustand höchster Unruhe, setzte Spezial- und Elitepolizisten in Gebüsche, verglich den Täter mit Osama bin Laden, grub Gärten um, sperrte die Zivilbevölkerung ein, veröffentlichte falsche Fahndungsfotos und trieb das Ding derart auf die Spitze, bis sich auch die ausländische Presse am munteren Treiben vergnügte.
 
Am 17. September 2010 fand das Amüsement sein Ende mit der Festnahme Kneubühls, gestellt durch den Mischlingsrüden Faro, den Helden von Biel, Bern, Basel, Porrentruy oder Hinterfultigen – oder so …

Da so vieles schief lief, beschloss man, nun zu schweigen.

*

Im Schatten dieses paneuropäischen Ereignisses lief in einem andern Landesteil ganz still eine weitere Nummer ab: Angeblich in Winterthur wurde der Tiroler Wolfgang Umfogl verhaftet unter dem Verdacht, des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes. Man vermutete in Umfogl einen der Verursacher, der Ende Januar 2010 die Affäre um die Steuerdaten-CD eingeläutet hatte.
 
Als der mutmassliche Täter – oder das Opfer eines grauenhaften Irrtums – am 29. September im Regionalgefängnis Bern zu Tode kam, waren weder die österreichischen Behörden noch die Familie Umfogls über dessen Inhaftierung informiert.

Da so vieles merkwürdig verlief, beschloss man, weiter zu schweigen.

*

Am 03. Oktober 2010 brannte der Dachstock des Restaurants «Räblus» in der Berner Altstadt aus. Als der um 06:00 Uhr ausgebrochene Brand gelöscht war, liess die Feuerwehr eine Brandwache zurück und hatte mit Untersuchungen begonnen, als um 09:30 ein weiterer Brand ausbrach, angeblich von einem Räblus-Mitarbeiter bemerkt, der die Feuerwehr darauf hinwies. Es sei Brandstiftung gewesen, die Sache sei enorm kompliziert, eine Strafverfolgung sei eingeleitet worden.

Aus ermittlungstaktischen Gründen wolle man nun schweigen.

*

Etwas überstrapaziert von der globalen Schweigerei wende ich mich ab von der Feuerwehr-Leiter und begebe mich zu jener Wittgensteins, die nachdem sie bestiegen wurde, weggeworfen werden sollte.
Ludwig Wittgenstein (1889-1951), Tractatus Logico-Philosophicus:

«Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen


 
Der letzte Satz des Tractatus gilt nicht für die obigen Schweiger.
Die haben nix begriffen und schweigen aus anderen Gründen.

 

Keine Kommentare: