Sonntag, 1. November 2009

Henryk M. Broder spielt mit seiner Kippa

Als Henryk Broder vor rund zwei Wochen seine Kandidatur für die Wahl zum Präsidenten des Zentralrats der Juden (ZdJ) ankündigte und zu diesem Anlass «nach reiflicher Überlegung» seine Kippa in den Ring schmiss [Meine Kippa liegt im Ring, Tagesspiegel vom 21.10.2009] , bestand noch die Hoffnung, er hüpfe diesem Objekt hinten nach.

Immerhin waren seine Argumente spektakulär:
  • Er befinde sich in einem Alter, in dem er das tun wolle, das er tun sollte.
  • Die ZdJ Deutschland befinde sich in einem erbärmlichen Zustand.
  • Die aktuelle Präsidentin, Charlotte Knobloch, leide an Überforderung.
  • Er werde für ein Ende des kleinkarierten Grössenwahns sorgen.
  • Er werde sich einsetzen, für das Aufheben der Holocaustleugnung als Straftatbestand.
  • Er werde sich um gute Beziehungen zu den in Deutschland lebenden Moslems bemühen.
  • Er sei überzeugt, dass es keine partikularen jüdischen Interessen gebe. Was wer esse, sei Privatsache.
  • Er werde für eine strikte Trennung von Staat und Religion und für eine säkulare Gesellschaft eintreten.
  • Er werde sich einsetzen für eine Religionsfreiheit, zu der auch gehöre, sich über den eigenen Gott und jenen der anderen lustig zu machen.
  • Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat seien die Werte, die offensiv verteidigt werden müssen.
Schon hatte man sich gefreut auf eine mittelschwere Revolution, aber was tat der Broder, dieser Tabu-Zersetzer, Masken-Herunterreisser und Verzärtelungszertrümmerer? Er hievte seine Kippa lammfromm aus dem Ring und meinte dazu, er sei weder grössenwahnsinnig noch vergnügungssüchtig.
 
Dabei trifft der Wahnsinn voll zu, von Grösse ist in der Tat nichts erkennbar. Ja nun, vielleicht ist es auch bloss das Alter, dessen Weisheit weder käuflich ist noch an den Bäumen hängt. Und von «lustiger Fantasie», wie Charlotte Knobloch meinte, kann keine Rede sein. Das grenzt an russisches Roulette - eine sehr traurige Angelegenheit, an der der beste Satiriker zugrunde gehen kann.
 
Dabei hatte ihn Michel Friedman gewarnt:

«... Ich erwarte nun aber auch, dass Henryk Broder es ernst meint mit seiner Ankündigung und den Zentralrat nicht zum Zweck der Selbstvermarktung missbraucht.»
[Ich erwarte, dass Broder es ernst meint, Tagesspiegel vom 22.10.2009]


 
Nun, wahrscheinlich tat Broder genau das, was viele ahnten, was Friedmann nicht wollte, und zerstörte dabei auch meine Pläne:
 
Gesetzt den Fall, Henryk Broder wäre nächstes Jahr tatsächlich Präsident des ZdJ geworden, hätte er diesem Amt eingedenk seiner immensen Mobilitätsbedürfnisse mehr schlecht als recht gerecht werden können, da er sich meist irgendwo in der Welt in ein Attikageschoss zwecks «Blick aufs Ganze» einmietet, um seine nächsten publizistischen Würfe zu kreieren.
 
Aufgrund dieser enormen Abwesenheit hätte er einen Schattenpräsidenten benötigt, (jeder tut das heute, Regierungen bilden sogar Schattenhaushalte und Schattenfonds), der die Festung hält, um die effektive Arbeit zu erledigen. Da wäre Michel Friedman genau der richtige Mann gewesen.
 
Da nun der ganze Plan durch Henryk Broders unlustige Aktion ins Wasser gefallen ist, kann Charlotte Knobloch weiter präsidieren, so sie denn möchte, oder es bleibt als letzter Weg der direkte: Michel Friedman for President!
 
Dazu wären bloss zwei Nebensächlichkeiten zu bewältigen:
  1. Die o. a. «Einkaufsliste» Henryk Broders ist zu ersetzen.
  2. Jene, die immer noch mit einem gewissen Blick zurück in Zorn und Entrüstung eine Entgleisung nicht verzeihen können, schauen schlicht nach vorn.

Weitere Stimmen zum Rückzug des Meisters:

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