Montag, 25. Januar 2010

Natascha Kampusch – Ein Opfer sucht nach …

Heute soll also einer der Tage «X» im Leben der Natascha Kampusch sein: Die ARD sendet von 21.00 bis 21.45 unter dem Titel «Natascha Kampusch - 3096 Tage Gefangenschaft» eine Dokumentation, die unter anderem das Bild dieses Verbrechensopfers in der Öffentlichkeit «korrigieren» soll.

Es ist verständlich, dass der Titel die ca. 8.5 Jahre der Gefangenschaft in Tagen ausdrückt, denn es erschien am 26.04.2008 der Kriminalfall von Amstetten durch den mehrere Menschen in vollkommener Isolation über Jahre hin leben mussten. Die Mutter Elisabeth harrte während ca. 24 Jahren in dieser schrecklichen Weise aus und überlebte ca. 8'740 Tage.
 
Über dem «Fall Kampusch» und damit über dem Verbrechensopfer schwebte von Anfang an der Dunstschleier fundamentaler Manipulation: Angekündigt als hoch eloquenter Mensch mit schier unbegrenzten Hochbegabungen entpuppte Natascha Kampusch sich als Durchschnittsmensch, der bei erster Gelegenheit die «Liebe Weltöffentlichkeit» schlicht anlog.
 
Die Lüge bezüglich eines Skiausflugs während ihrer Gefangenschaft brach dem öffentlichen Image der Kampusch das Genick: Keiner mochte diesem Opfer künftig seinen Opferstatus mehr so recht zuordnen, und alles, was die Kampusch noch unternahm, bot Anlass zu unsäglichen Interpretationen, Verleumdungen und Verzerrungen.
 
Dabei wäre es im September 2006 so einfach gewesen, die Öffentlichkeit über die Realitäten jenes Skiausflugs samt folgenden weiteren Ausflügen aufzuklären:
 
Ein in Gefangenschaft, Isolation und Misshandlung «gehaltenes» Opfer unternimmt während dieser Tortur niemals etwas freiwillig oder etwa genussvoll. Ein Ausflug ist die Fahrt in eine kurze Verlegung, Tortenessen kann zur Qual für einen sonst unterernährten Menschen werden, der Sonnenschein schmerzt durch unerträgliche Lichtflut … Und Todesangst, Panik und Ausweglosigkeit drängen sich in jedem Augenblick als unerwünschte Begleiter auf.
 
Dazu das tollpatschige Unternehmen in Puls4, sich mit «Natascha Kampusch trifft» als TV-Moderatorin zu versuchen. Das musste schief gehen. Selbst der grösste Manipulator hätte wissen dürfen, dass die künstlich erschaffene Genialität eines hoch labilen Verbrechensopfers im realen Leben niemals zu befriedigender Leistung führen kann. Doch ungeachtet dessen warf man die Kampusch der Öffentlichkeit zum Frass vor, statt sie vor sich selber zu schützen.
 
Was vor dreieinhalb Jahren verpasst wurde, soll nun nachgeholt werden. Ob der erwünschte Effekt einer Image-Korrektur erreicht wird, kann noch keiner wissen. Es dürfte schwierig werden, eine Persönlichkeit klärend darzustellen, die man sporadisch in die Öffentlichkeit wirft mit dem Ruf «Ich möchte endlich zur Ruhe kommen».
 
Im Spannungsfeld zwischen Ruhe und Öffentlichkeit dürfen wir von diesem Verbrechensopfer vielleicht eine weitere TV-Serie erwarten mit dem Titel «Natascha Kampusch sucht …».
 
Nun, Spass beiseite. Ich wünsche Natascha Kampusch für diese Sendung alles Gute. Vielleicht benötigte das ganze Image-Schlamassel auch bloss einige Jahre mehr, um sich in einer gewissen Stille selbst zu korrigieren. Doch ich bezweifle, ob von Seiten Kampusch und ihren Medienberatern überhaupt die Geduld für eine solche öffentlichkeitsfreie Zeit vorhanden sein will.

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