Sonntag, 9. Januar 2011

SRG: Die Pein mit dem Kopftuch

Wie der «Service public» ist auch das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz (leider immer noch) Dauerbrenner in Schweizer Stuben. Der neue Generaldirektor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft, Roger de Weck, wird nun als einen seiner ersten gegen aussen hin erkennbaren Entscheide über das «Kopftuch am Arbeitsplatz» zu urteilen haben.

SRG + Kopftuch – unvereinbare Grössen?
Anlass zu einem möglichst raschen Entscheid bietet die Bewerbung einer schweizerisch-ägyptischen Journalistin beim Westschweizer Radio RSR, die offenbar das Tragen des Kopftuches als «selbstverständliche Bedingung» eingebaut hatte. Nun sucht die SRG nach einer Richtlinie für das Tragen religiöser Symbole. Dass das Problem, diese Richtlinie zu erstellen, seit mehr als einem Jahr ansteht, scheint für die dahinserbelnde SRG kein Problem darzustellen.
 
Der amtierende Generaldirektor wird nicht alleine entscheiden müssen: Die gesamte Geschäftsleitung wird sich um das Thema bemühen, zudem wird am 20. Januar der Publikumsrat die Sache thematisieren und, obwohl ohne Entscheidungsbefugnis, versuchen, den Entscheid zu beeinflussen. Für Einfluss sorgen ebenfalls Politiker: Puristen brüllen, der Service public schlösse das Kopftuchtragen aus, während die etwas Toleranteren der Spezies kein grundlegendes Problem im Tragen dieses Textilgebildes erkennen.
 
Nun, der Entscheid wird für etliche in jedem Fall falsch ausfallen. Was soll's?
Die Mikrofone werden wohl kaum entsetzt sein, und wenn die lieben Arbeitskollegen keine Mitarbeiterin mit Kopftuch ertragen, scheint es mit der Journalisten-Persönlichkeit nicht gerade zum Besten bestellt zu sein.
 
Roger de Weck hat sich rein zu Testzwecken mal so ein Ding auf den Kopf gesetzt. Schaun mer mal, was draus wird. Ein bisschen einsam sieht er schon aus. Aber wenn's dem Service public dient …
 
Generaldirektor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR idée suisse

Was ist der Service public?

« … Der Bundesrat definiert den Service public folgendermassen:
«Service public umfasst eine politisch definierte Grundversorgung mit Infrastrukturgütern und Infrastrukturdienstleistungen, welche für alle Bevölkerungsschichten und Regionen des Landes nach gleichen Grundsätzen in guter Qualität und zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen sollen.»
[ … ]
Die Grundversorgung ist eine politisch zu bestimmende Basisausstattung mit Infrastrukturgütern und -dienstleistungen, die je nach Sektor im Einzelfall zu definieren und den sich ändernden technischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen anzupassen sind.

Damit bildet der Service public überhaupt keine Konstante, sondern ist eine hoch veränderbare Variable, die nach irgendwelchen ebenso variablen Bedürfnissen, Stimmungen oder der Tageskondition der jeweiligen Entscheider neu definiert werden muss.
 
Politiker, die nun mit dem Service public argumentieren, spielen also mit einem Gummiartikel und vergessen einmal mehr, dass die Schweiz und damit die SRG eingebunden sind in die Vielfalt von Kulturen, Religionen und Persönlichkeiten.
 
Dazu kommt, dass es sich beim Radio um ein Empfangsgerät handelt, das keine Auskunft darüber gibt, wie der/die Mitarbeiter/in gekleidet ist. - Wer schon mal ein sprechendes Kopftuch gehört hat, soll sich bitte nicht melden – mit Verrückten möchte ich mich diesbezüglich keineswegs unterhalten!
 
Service public ist das, was beim Volk ankommt.
Da spielt es keine Rolle, ob die Texte Herstellende ein Kopftuch trägt oder nicht.
 
Anders könnte es beim Fernsehen sein: Inhalte eines Eventual-Service-public würden von einer Kopftuchträgerin sprich: Muslimin verkündet, was die Bürger irritieren könnte.
 

Raschida Bouhouch

Doch wie sah es am 24.01.2010 bei 20Minuten aus?

«… Dass Bouhouch ein Kopftuch trage, sei bei ihrer Einstellung kein Thema gewesen: «Sie ist für die Stelle bestens qualifiziert. Wann sie ein Kopftuch tragen will, überlassen wir ihr», so Wappler …»

Eine hoch innovative Spielerei: Eine Muslima bringt eine Sendung über Chanukka auf einem sog. christlichen Sender …
Das war Fernsehen.
Wer war dagegen? Die Juden? Die Christen? Die sehr schlichten Gemüter?
Raschida stellt sich im Video vor.
 

Diese Verreligionisierung der Gesellschaften …

Ja, ja, ich weiss, es handelt sich um eine Wortschöpfung, und sie soll auch miese daherkommen.
 
Die Christen werden offenbar hoch religiös, wenn sie ihren Glauben, – vor allem aber - ihr Kapital durch die Muslime bedroht sehen. Es gab schon eine frühere angebliche Bedrohung: die durch die Juden. Das Problem wurde anderweitig gelöst, nicht durch die SRG und schon gar nicht durch den Schweizer Service public …
 
Heutzutage verhält man sich hygienischer: Man schafft Vorschriften, Verordnungen und Gesetze, fühlt sich ganz wunderbar dabei und so ungemein rechtsstaatlich. Fantasielosigkeit, Partei- und Wirtschaftspolitik bestimmen den Weg und das Ziel. – Nein, nein, nie mehr die Nürnberger Gesetze!
 
Man versucht verzweifelt, sich abzugrenzen. Existiert der Feind nicht, wird er kreiert, sei es auch bloss in Form eines Kopftuchs. «Das Kopftuch – Dein Feind», heisst es, und die simplen Gemüter hüpfen vor Freude, denn endlich haben sie etwas begriffen!
 
Doch es braucht Fantasie zum Überleben.
Roger de Weck, wir wollen überleben. Seien Sie fantasievoll.
Sie können das, Sie haben es gezeigt.
Was wäre aus Lena geworden, hätte sie Kopftuch getragen?
 

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